Montag, 10. November 2008

„Das werden nette Türken“ - Deutschkurse in Istanbul

Von Stefan Tillmann

10. November 2008 Sie ist zwanzig, sagt sie. Ihr Mann hat gerade noch gesagt, sie sei 21. Wahrscheinlich hat er recht - und sie wieder die deutschen Zahlen durcheinandergebracht. Natürlich ist sie auch nervös, gleich ist der mündliche Test. Der erste Teil eben lief gar nicht gut: schreiben, lesen, verstehen.

Hüriyet Özpolat sitzt in der Cafeteria im ersten Stock des Goethe-Instituts und geht den Stoff der vergangenen zwei Monate noch mal durch. Sie wird sich vorstellen müssen. Wie heißt du, wie alt, was sind deine Hobbys? Neben ihr sitzt ihr Mann, Eser Özpolat, und drückt ihre Hände. Er spricht fast perfekt Deutsch. Der Dreiundzwanzigjährige lebt seit 15 Jahren in Elmshorn bei Hamburg, arbeitet in einem griechisch-italienischen Restaurant auf der Reeperbahn. Er hat einen deutschen Pass, fühlt sich als Deutscher, er mag das Land. Nun will er seine Frau nach Hause holen. Sie ist im vierten Monat schwanger. [...]

Ein Tag zuvor, die letzte Unterrichtsstunde. „Bitte - telefonieren - Sie - hier - nicht“, spricht die Lehrerin Gülseren Güleryüz-Karahan vor. Bei „bitte“ hebt sie den Zeigefinger, dann macht sie mit Daumen und kleinem Finger ein Telefonzeichen. Die Klasse spricht nach, mühsam. „Bitte“ und „natürlich“ scheinen die wichtigsten Vokabeln zu sein. „Das werden nette Türken“, sagt Güleryüz-Karahan später im Lehrerzimmer und lacht. Sie ist in Essen geboren und vor anderthalb Jahren nach Istanbul gezogen, mit ihrem Mann. „Ich bin eine Exportbraut“, sagt die Dreiunddreißigjährige und lacht wieder.

Das Mindestalter wurde auf 18 Jahre festgesetzt

Die kleine Lehrerin fand in der Türkei schnell einen Job, weil die Politiker in Deutschland das Zuwanderungsgesetz verabschiedet haben. 367 Vertreter von unterschiedlichsten Verbänden hatte Angela Merkel zum Nationalen Integrationsgipfel geladen. Seit einem Jahr müssen nun Ausländer, die zum Ehepartner oder Verlobten ziehen wollen, einen Deutschtest absolvieren. Das Mindestalter beim „Ehegattennachzug“, wie das im Amtsdeutsch heißt, wurde auf 18 Jahre festgesetzt. Die Politik wollte damit auch die Rechte der Frauen stärken und Zwangsverheiratungen erschweren. Seither haben deutsche Auslandsvertretungen deutlich weniger Visa an Ehepartner ausgestellt. Anfangs ging die Zahl um zwei Drittel zurück, zwischen April und Juni dieses Jahres um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Türken sind am meisten betroffen: Von 40.000 nachziehenden Partnern kamen 2007 ein Viertel aus der Türkei. [...]


„Ja, ich Türke, Türke

Die Schüler verschwinden in die Klassen, die Verwandten müssen vor die Tür. Ein älterer Herr steht da und findet das alles „einen Schmarrn“. Der Mann mit dem Schnurrbart, der seinen Namen nicht nennen will, arbeitet seit Jahrzehnten bei Audi in Ingolstadt. Er begleitet seine Schwiegertochter, der Test sei viel zu schwer. Und überhaupt: „Warum müssen den Türken machen, Japaner und Amerikaner aber nicht?“ Es ist die gleiche Frage, die auch der Europäische Gerichtshof gestellt hat, weshalb die Regelungen derzeit geprüft werden.

Neben dem Mann aus Ingolstadt steht Hassan Özgal, 59, der seit dreißig Jahren in Duisburg lebt und kaum Deutsch spricht. Ob es ihm wichtig sei, dass seine Kinder Türken heiraten? Er versteht nur „Türke“. „Ja, ich Türke, Türke.“ Dann sagt er, dass ihm das gar nicht so wichtig ist. Das sei alles viel lockerer geworden, sagt er ruhig und freundlich.

Bewegen, riskieren, bestehen, aussehen

Später, während der mündlichen Prüfung, drängeln sich die Verwandten im Treppenhaus. Dort hängt das Bild eines jungen Mädchens, das sich vor einem Spiegel schminkt. „Bewegen, riskieren, bestehen, aussehen, seinen Stil finden, anziehen, suchen“, steht darauf, darunter: „Goethe-Institut“.

Nihal Gökmen ist als Erste fertig. Sie lächelt zufrieden, Atilla drückt sie. Später erfährt sie: 71 Punkte von hundert, sechzig waren Pflicht: „befriedigend“.

Eser Özpolat hält es kaum aus. Als eine halbe Stunde später der Aufzug runterkommt, nimmt er seine Frau in den Arm, beide lächeln. Gut sei es gelaufen, sagt sie. Eser küsst sie links und rechts auf die Wange, dann nimmt er ihre Hand und geht mit ihr raus.

Einen Tag später der Anruf im Institut. Eser ist schockiert. „Wir haben verloren“, sagt er am Telefon. Nur vierzig Punkte. Das heißt: wieder wochenlanges Lernen, wieder warten bis zum nächsten Test, bis zur dritten Chance. Eser lächelt trotzdem. Er ist ein stolzer werdender Vater. Der immer noch hofft, dass das Kind im nächsten Frühjahr in Deutschland zur Welt kommt.



Text: F.A.S.
Bildmaterial: F.A.Z.


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