Dienstag, 5. Januar 2010

Bewerbungsalptraum

"Wir sind ein sehr deutsches Unternehmen"

Manchmal wünscht sich Asiyah Hikal einen aufblasbaren Anwalt. So einen kleinen, gemeinen Kerl für die Handtasche. Der würde dann Firmen heimleuchten, die sich subtil oder offen diskriminierend verhalten - wie sie es bei einem Finanzdienstleister erlebte: Zwischenruf einer sehr zornigen Bewerberin.

Sollte ich das alles noch einmal durchmachen müssen, würde ich Jura studieren. Nicht etwa wegen des finanziellen Anreizes - sondern weil ich dann in der Lage wäre, schneller und besser auf Unverschämtheiten zu reagieren, die einem widerfahren.

Ich würde mich auch mit einem kleinen Anwalt für die Handtasche zufriedengeben. Mir schwebt eine Art aufblasbarer Rechtsberater vor, ein kleiner Kerl, den ich bei Bedarf rausholen und neben mich stellen könnte. Ein Taschenjurist. Man müsste nur vor dem Gespräch zum Personalchef sagen "Das ist mein Rechtsbeistand. Sie haben doch nichts dagegen?!"

Seit meinem Studienabschluss hatte ich regelmäßigen telefonischen Kontakt zu Juristen, Arbeitsrechtsauskünften und Regierungspräsidien. Jedes Mal, wenn ich eine Sache schilderte, die ich erlebt hatte, und fragte "Dürfen die das?", lautete die Antwort "Nein".

Eine Personalvermittlerin verschaffte mir ein Interview bei einem Finanzdienstleister, der eine Mitarbeiterin für den Empfang suchte. Ich wollte den Job eine Weile ausüben, um zur Abwechslung mal wieder Geld zu verdienen. Das angebotene Gehalt war nicht schlecht. Aber bis wir beim Thema Bezahlung ankamen, musste ich sonderbare Fragen und Bemerkungen über mich ergehen lassen.

Gesprächsauftakt: "Sie sind Türkin, oder?"

Es geschah dies: Nachdem ich mich pünktlich und gutgekleidet zum vereinbarten Termin eingefunden hatte, wurde ich in den Warteraum gepflanzt. Das Gebäude war von außen wie von innen glatt, gläsern und sehr modern, fast steril. Ich war nicht besonders scharf auf den Job, aber ich brauchte Geld. Mit meiner kaufmännischen Ausbildung, Erfahrung als Flugbegleiterin und perfekten Englischkenntnissen schien das übergangsweise genau das Richtige für mich. Das Unternehmen machte einen professionellen Eindruck, die Lage war prima.

Nach wenigen Minuten wurde ich in einen kleinen Konferenzraum geführt und lernte die Personalchefin mit Assistentin kennen. "Head of Human Resources", stand auf der Visitenkarte. Nach der Begrüßung eröffnete die Personalchefin, die etwas jünger war als ich, das Gespräch mit der Frage "Sie sind Türkin, oder?"

Ich weiß nicht, wie oft ich das bei meiner Jobsuche gefragt worden bin. Ich kann es nicht mehr hören. Ich bin keine Türkin, und selbst wenn ich türkischer Herkunft wäre: Es hat gefälligst kein Arbeitgeber danach zu fragen.

Statt den Raum zu verlassen, blieb ich. Wir unterhielten uns kurz über den Ursprung meines Namens, dann stellten die beiden Damen sich und das Unternehmen vor. Ich hatte mich bereits über die Firma informiert. Auf der Homepage stehen neben dem deutschen Text Übersetzungen in mehreren Sprachen, auch in Arabisch. Das Unternehmen und seine Unterfirmen investieren Geld in Osteuropa, Asien und dem Nahen Osten.

Sind denn Franzosen, Araber, Amerikaner unhöflich?

Ich hatte den Eindruck gewonnen, es handele sich um eine international agierende Firma. Aber die Personalchefin setzte hinzu: "Wir sind ein sehr deutsches Unternehmen."

Ich war - insbesondere, da ich wenige Minuten zuvor gefragt worden war, ob ich Türkin sei - entsetzt und fragte: "Worin schlägt sich das denn nieder?" Die Antwort lautete: "In den E-Mails und den Briefen." Die Formulierungen seien immer sehr höflich. Außerdem rede man sich nicht mit dem Vornamen an.

Und das rechtfertigt die Bezeichnung "sehr deutsch"? Sind Franzosen, Engländer, Araber, Amerikaner in E-Mails unhöflich? Reden sich Mitarbeiter in libyschen Banken in Geschäftsbriefen mit den Worten "Hey, Ali! Schieb doch mal die Bilanz rüber!" an? Ich denke nicht.

Was soll das? Muss man Schmidt heißen, um dort arbeiten zu dürfen? Unternehmen haben verschiedene Unternehmenskulturen. Sie können "traditionell" sein, "modern" oder "Familienunternehmen". Selbstverständlich sind Firmen "deutsch" oder "schwedisch" oder "nigerianisch". Aber doch nicht "sehr nigerianisch" oder "sehr deutsch".

All das fiel mir leider nicht ein, als ich dort saß. Ich war verblüfft und enttäuscht. Erst die "Türkin"-Frage, dann das "sehr deutsche" Unternehmen - da kann man sich nur noch diskriminiert fühlen. Das Gesetz verbietet jegliche Fragen oder Andeutungen zur ethnischen Herkunft des Bewerbers. Aber unabhängig davon kommt man sich als Bewerber wie der letzte Depp vor, wenn man aufgrund seines ausländischen Namens so behandelt wird. Zumal es immer und immer wieder vorkommt. Man härtet nicht ab, sondern fühlt sich mehr und mehr ausgegrenzt.

Fremdsprachen? Kann nur ein Müller oder Schmidt

Ich bin hellhäutig. Man sieht mir nicht an, dass mein Vater Nordafrikaner war. Wäre das der Fall, hätte ich wohl noch mehr Schwierigkeiten. Man hört auch nicht, dass ich keine "reinen", "sehr deutschen" Wurzeln habe. Ich bin der deutschen Sprache mächtig und zudem zweisprachig aufgewachsen; Englisch ist meine zweite Muttersprache.

Aber das glaubte mir die Personalchefin anscheinend nicht. Kurz nachdem wir uns über meine Fremdsprachenkenntnisse unterhalten hatten, rief sie die Empfangsmitarbeiterin, die meine Kollegin geworden wäre, hinzu und fragte sie vor mir: "Wie viel Englisch ist denn bei Ihrer Tätigkeit dabei?" Und beantwortete die Frage dann nach kurzem Hin und Her selbst: "Also ich denke so ungefähr zehn Prozent." Es sei nicht viel und das Englisch, das man hier am Telefon brauche, sehr einfach.

Offenkundig bezweifelten die Damen, dass ich Englisch beherrsche - klar, 'Türken sind halt doof!' Dass Angehörige anderer Kulturen oft von vornherein mit mehr als nur einer Sprache aufwachsen, wissen viele Deutsche nicht. Sie glauben, nur Deutsche seien in der Lage, mehr als eine Sprache zu sprechen. Aber nicht so unkultivierte Kameltreiber, wie mein Vater einer war. Und selbstverständlich ist die Brut solcher Primitivlinge geistig ebenso beschränkt.

Auch in "sehr deutschen" Unternehmen hat man statt einer Personalabteilung ein "HR Department", es gibt "Meetings", "Young Professionals" arbeiten an der Entwicklung ihrer "Soft Skills". Aber die Mentalität dahinter bleibt die alte: engstirnig und unflexibel.

Die Personalchefin hat ein Bild vor Augen

Was um alles in der Welt bilden sich Deutsche ein? Was ich am laufenden Band erlebe, ist Misstrauen und Überheblichkeit gegenüber allem Fremdländischen. Aber ein derartiges Gespräch war mir neu. Die Personalchefin setzte es fort mit der Erläuterung ihrer Erwartungen an eine Empfangsdame. Sie habe "ein Bild vor Augen", und es sei "äußerst schwer, dieses Bild zu erfüllen". So seien keine flapsigen Bemerkungen gegenüber der Kundschaft zu machen, auch lege man Wert auf ein gepflegtes Äußeres.

Hallo?! Ich weiß, wie man sich anzieht. Ich saß dort weder voll verschleiert noch in Jeans und Turnschuhen, sondern in einem konservativen, dem Anlass angemessenen Kleid. "Business-Outfit". Ich habe lange genug eine Uniform mit einem Rock bis zu den Knien getragen, ich weiß, wie man im Geschäftsleben eine Firma repräsentiert. Ich sagte: "Es ist mir während meiner neunjährigen Tätigkeit als Flugbegleiterin und Chefin der Crew gelungen, flapsige Bemerkungen zu unterdrücken. Ich denke, mir wird dies auch weiterhin gelingen!" Sie sah kurz in die Unterlagen und bemerkte "Ach ja".

Mir wurde dann erklärt, es werde noch eine zweite Runde geben, für alle Kandidatinnen in der engeren Wahl. Ich legte nach dieser Erfahrung keinen Wert mehr darauf, in dem Unternehmen beschäftigt zu sein. Daher ließ ich der Personalchefin am Tag darauf eine Nachricht zukommen, zog meine Bewerbung zurück und wies sie auf die arbeitsrechtlichen Grundlagen und das Antidiskriminierungsgesetz hin.

Wahrscheinlich ändert das nichts am Verhalten dieser Personalerin. Wahrscheinlich bestärkt es sie sogar in ihrem Glauben, dass Ausländer eben "schwierig" sind. Besonders die Frauen!


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