Donnerstag, 4. Dezember 2008

Verprellte Talente


Die Wirtschaft klagt über den Fachkräftemangel. Dennoch wollen viele Einwandererkinder abwandern, weil sie nach ihrem Studium in Deutschland keinen Job finden

Es ist eine vorbildliche Karriere, die Cihan Batman hingelegt hat: Seine Eltern kamen als Gastarbeiter in den sechziger Jahren nach Deutschland, auf dem Gymnasium in Echterdingen bei Stuttgart war er der erste und einzige Türke, er machte ein gutes Abitur, studierte an der Universität Stuttgart technische Betriebswirtschaftslehre, arbeitete danach bei KPMG, bei der DaimlerChrysler Bank, jetzt ist er Senior Manager bei Vodafone. Gelegentlich geht er zu einem Stammtisch, dort kommen Gleichgesinnte zusammen, Deutsche türkischer Abstammung, hoch qualifiziert die meisten. Um die 300 Leute gehören zu dieser Runde, eine Gruppe, auf die Deutschland stolz sein könnte: Deutsche mit dem sperrigen Etikett »Migrationshintergrund«, die es zu etwas gebracht haben.

Der Haken dabei ist – sie sind nicht mehr in Deutschland. Sie treffen sich regelmäßig in einem Café in Istanbul, es ist ein Rückkehrerstammtisch für Deutschtürken. Sie haben Deutschland verlassen, weil sich ihnen in der Türkei die besseren Karrierechancen bieten, so wie Cihan Batman, oder weil sie in Berlin oder Köln nie heimisch wurden, sich nicht anerkannt fühlten.

Sie könnten in Zukunft viele Nachahmer finden. Sagt der Sozialwissenschaftler Kamuran Sezer. Er wertet gerade eine Umfrage unter 250 türkischstämmigen Akademikern aus, die nächste Woche veröffentlicht wird. Mit seinem Forschungsinstitut futureorg hat er sie nach ihrer Situation in Deutschland befragt. Wie sie denken, was sie wollen, wie sie leben. Eine Gruppe, über die man bisher wenig wusste, sagt Sezer, obwohl hierzulande die Zahl der Studierenden mit türkischem Hintergrund bei ungefähr 24.000 liegt.

Die Forscher wollten herausfinden, wie sehr diese sich mit Deutschland identifizieren können, und stellten dabei unter anderem die Frage: »Beabsichtigen Sie, zukünftig in die Türkei zurückzukehren?« Sie bekamen eine Antwort, die zu denken gibt: 38 Prozent antworteten darauf mit Ja. Als Grund nannten 21 Prozent berufliche Perspektiven, 42 Prozent gaben an, dass sie sich in Deutschland nicht heimisch fühlen. Dabei ist der Wunsch nach Rückkehr bei den Jüngeren, die in Deutschland geboren wurden, genauso ausgeprägt wie bei den Älteren, in der Türkei Geborenen und bei Gutverdienenden genauso groß wie bei Geringverdienern, berichtet Sezer. Und sagt: »Bildung führt also nicht automatisch zu gelungener Integration, sie erhöht nur deren Wahrscheinlichkeit.« Dazu passt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten die deutsche Integrationspolitik als unglaubwürdig einstuft. [...]

Soner Süral kennt solche Klagen zuhauf. Der Student der Computerlinguistik ist Geschäftsführer des Berliner Studenten- und Akademikervereins BTBTM. Er berät unter anderem Bildungsin- und -ausländer in Sachen Studium. Deren Stimmungslage fasst er in einem Bild zusammen: Oft fühle man sich hier wie »ein Tropfen Olivenöl in einem Glas Wasser. Es vermischt sich nichts.« Der Weg zu einem Wir in Deutschland ist noch weit. Süral sagt: »Man muss den Leuten früher vermitteln, dass man sie braucht, dass man will, dass sie hierbleiben.« [...]

Ein bizarres Labyrinth von Anerkennungsstellen

Mittlerweile beschäftigt dieser Bildungsabsturz auch die Politik. Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte des Bundes, hat eine Studie namens Brain Waist in Auftrag gegeben. Demnach finden gerade einmal 16 Prozent der befragten Einwanderer aus Osteuropa einen Job in ihrer Branche, obwohl die meisten über eine Ausbildung oder ein Studium verfügen.

Die Untersuchung offenbart ein bizarres Labyrinth von Anerkennungsstellen und Zulassungsverordnungen, in dem sich nicht einmal deutsche Beratungseinrichtungen zurechtfinden, geschweige denn die Zuwanderer selbst. Mal ist der Bund zuständig, mal sind es die Länder. Brain Waist berichtet von Bewerbern, die sich bei vier Stellen über die Anerkennung ihres akademischen Abschlusses informierten – und vier unterschiedliche Antworten bekamen.

Auf dem Bildungsgipfel haben Bund und Länder eine bessere Beratung der Betroffenen versprochen. Maria Böhmer fordert darüber hinaus für jeden Zugewanderten eine schnelle und bundesweit einheitliche Prüfung seiner Qualifikationen. Dass die Politik rasch handeln sollte, beweist eine Beobachtung von Galina Suppes. Sie berichtet, dass immer mehr Russlanddeutsche der vierten Generation überlegen, ihre berufliche Zukunft in Russland zu suchen. »Sie glauben, dass ihre Chancen auf einen guten Job dort größer sind«, sagt sie. Als Deutscher sei man dort zudem hoch angesehen. In Russland würden sie so finden, was ihre Eltern in Deutschland gesucht, aber nicht gefunden haben: Anerkennung und beruflichen Erfolg.

Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio

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