Donnerstag, 19. November 2009

Studentenproteste: Scheinheilige Ministerin Schavan


Die scheinheilige Ministerin

Der Verlauf der Studentenproteste erinnert an den US-Film "Und täglich grüßt das Murmeltier", in dem der Protagonist gefangen ist in einer Endlosschleife: Jeder Tag ist gleich, alles wiederholt sich. Nun also gehen wieder Tausende Studierende auf die Straße - und wieder flüchtet sich Bundesministerin Schavan in Symbolpolitik.

Von Nicole Diekmann, tagesschau.de.

Eines macht Annette Schavan dieses Mal anders: Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hält sich mit Kritik an den demonstrierenden Studenten zurück. Im Sommer noch nannte Schavan deren Protestaktionen "gestrig". Das brachte ihr dermaßen viel Ärger ein, dass ihr gleichzeitig vorgebrachtes Verständnis für den Ruf nach Reformen an den Bachelor- und Masterstudiengängen in Deutschland so gut wie unterging.

Eine Kehrtwende nach der anderen

Demo in Stuttgart (Foto: AP) [Bildunterschrift: Stoßen bei der Ministerin plötzlich auf Verständnis: Protestierende Studenten ]

Jetzt aber gibt es von Schavan ausschließlich warme Worte für die Betroffenen: Sie habe vollstes Verständnis für deren Ärger und fordere die Länder nun auf, die Hochschulen mit mehr Geld auszustatten und die Hochschulreform gegebenenfalls nachzubessern, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende mit ebenso gütigem wie entschlossenem Blick in den ersten Tagen der aktuellen Studentenaktionen in die Fernsehkameras. "Handwerkliche Fehler" seien begangen worden. Damit schiebt sie den Schwarzen Peter weg von der Politik, hin zu den Hochschulen. Besonders erstaunt aber ihre inhaltliche Kehrtwende: Vor rund vier Wochen fand Schavan noch, die Reformen seien "richtig" und "auf gutem Weg".

Dermaßen wendig zeigt sich die CDU-Politikerin auch beim Bafög. 2005 noch wollte sie es zugunsten von Bildungskrediten ganz abschaffen. Das scheiterte an der SPD. Erst 2008, also drei Jahre nach Schavans Amtsantritt als Bundesministerin, wurden die Sätze und Freibeträge erhöht. Vor drei Wochen noch sagte Schavan dem "Handelsblatt": "Momentan gibt es keine Pläne, diese erneut anzuheben." Jetzt aber klingt dieselbe Ministerin plötzlich so: Sie werde sich für die Erhöhung des Bafög stark machen und dies den Ländern und dem Bundeskabinett vorschlagen, verkündete Schavan am Dienstag.

Hintergrund:

Studierende der Universität Kassel (Foto: dpa)
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Das Ministerium eiert

Der Verdacht liegt nahe, dass Schavan von eigenen Versäumnissen ablenken will. Im Ministerium eiert man bei einer Erklärung für diese 180-Grad-Drehung herum. Frau Schavan habe schon vor Wochen an unterschiedlicher Stelle erklärt, sie plane eine "Weiterentwicklung" des Bafög. "So steht es ja auch im Koalitionsvertrag", sagte ein Sprecher im Gespräch mit tagesschau.de. Warum aber das Wort "Erhöhung" weder dort nachzulesen ist noch von Schavan vor den Studentenprotesten zu hören war, kann man im Ministerium nicht sagen. Auch, wann die geplante Bafög-Erhöhung kommen soll, weiß man dort nicht. Gesetzesvorhaben seien langwierig, sagte der Sprecher. Ob 2010 schon damit zu rechnen sei, sei sehr fraglich.

All das passt in das System Schavan. Die Ministerin flüchtet sich gern in Symbolpolitik. Viel mehr bleibt ihr mittlerweile auch nicht. Was Schavan nämlich nicht sagt: In Bildungsfragen hat sie nicht viel zu melden. Der Bund ist so gut wie entmachtet. Die Föderalismusreform II hat die Zuständigkeit für Bildungsfragen weitestgehend an die Länder übertragen - unter aktiver Mithilfe der schon damaligen Bundesministerin Schavan. Was sie ebenfalls verschweigt: Die Regierung will auch das Hochschulrahmengesetz abschaffen. Dadurch würde der Bund noch mehr Einfluss verlieren.

Treffen und Initiativen - ob's hilft?

Deshalb bleibt Schavan beim Treffen mit der Kultusministerkonferenz (KMK) am 10. Dezember mehr der Appell an die Länderkollegen. Ein "Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspaket" wolle man dort schnüren, sagt Schavan. Das wäre lediglich eine weitere Initiative: Auf ihrer letzten Sitzung im Oktober verabschiedete die KMK ein Zehn-Punkte-Papier zur Bologna-Reform. Doch auch dort hat fühlt man sich nur begrenzt verantwortlich: Im Zuge der aktuellen Protestwelle verweisen die Landesminister gern auf die autonomer gewordenen Universitäten.

Gruppenfoto beim "Bildungsgipfel" (Foto: picture-alliance/ dpa) [Bildunterschrift: Symbolträchtiges Gruppenfoto beim "Bildungsgipfel" 2008: Merkel und die Ministerpräsidenten. Die Kanzlerin machte Bildung zur Chefsache. ]

Ob von diesem Treffen also mehr zu erwarten ist als von einem weiteren "Bildungsgipfel", auf den Schavan in diesen Tagen gern verweist? Er findet am 16. Dezember statt - im Bundeskanzleramt, auf Einladung der Hausherrin, Kanzlerin Angela Merkel, die Deutschland vergangenes Jahr, noch vor den Studentendemos, zur "Bildungsrepublik" erklärte. Dahinter steckt aber keineswegs eine direkte Reaktion auf den nun so ungestüm geäußerten Unmut der Studenten. Der Termin stand seit Langem - und Bildung soll nur ein Thema von mehreren bei dem Treffen von Merkel und den Ministerpräsidenten sein, an dem auch Schavan teilnehmen wird.

Elitenförderung steht ganz oben

Doch noch aus einem anderen Grund nimmt man der Bundesbildungsministerin ihre Rolle als Hüterin studentischer Belange nicht so recht ab: Die wie auch immer gemeinte Weiterentwicklung des Bafög betonte sie in der Vergangenheit vor allem, um Sorgen wegen des von Schwarz-Gelb angekündigten Stipendiatenprogramms zu zerstreuen. Einkommensunabhängig und "ausschließlich nach Begabung" sollten diese Förderungen sein, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Eine Initiative, die nach Ansicht von Experten die Schere in Deutschland weiter auseinander driften lässt: Schon jetzt profitieren vor allem Kinder aus einkommensstarken und bildungsnahen Familien von Stipendien, wie unlängst eine Studie des Hannoveraner Hochschulinformations-Systems belegte.


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