Dienstag, 9. Februar 2010

Bewerber-Diskriminierung

Tobias wirft Serkan aus dem Rennen

Von Christoph Titz

Und ist der Lebenslauf noch so toll - klingt ein Name türkisch, haben Jobbewerber schlechtere Chancen. Forscher haben Namenslotto mit fiktiven Studenten gespielt. Sie bestätigen, was immer vermutet wurde: Tobias und Dennis bekommen meist das Praktikum, Serkan und Fatih gehen oft leer aus.

Fatih Yildiz und Tobias Hartmann sind sich ähnlich - sehr ähnlich. Beide sind Anfang 20 und studieren im zweiten Jahr Wirtschaftswissenschaften. Ihre Schulzeugnisse und Uni-Leistungen sind hervorragend, lauter Einsen und einige wenige Zweien. Die Studenten planen, wie es sich für ehrgeizige junge Ökonomen gehört, ein Praktikum, das zwischen eineinhalb und sechs Monaten dauern soll. Und strebsam, wie sie sind, schicken sie jede Menge Bewerbungen an viele große und an ein paar kleinere Firmen.

Beide sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, sie haben deutsche Pässe, Deutsch ist ihre Muttersprache. Einziger Unterschied: die Namen. Der eine klingt deutlich türkisch, der andere eindeutig deutsch - und direkt damit hängt zusammen, was aus ihren Bewerbungen wird. Das fanden Konstanzer Arbeitsmarktsforscher in einem aufwendigen Experiment heraus.

Die beiden Bewerber sind fiktiv, die Bewerbungsunterlagen überzeugend zusammengestellt, aber ebenfalls frei erfunden. Erledigt haben das Leo Kaas, Christian Manger und ihre Mitarbeiter an der Universität Konstanz. Sie reichten für die fiktiven Studenten 528 Online-Bewerbungen ein, jeweils für einen türkischen und eine deutsch anmutenden Interessenten. Und sie spielten auch die Lottofee - denn der Name wurde den Bewerbungen jeweils zugelost.

Wer "anders" heißt, hat schlechtere Chancen - auch international

Mit Fatih Yildiz und Tobias Hartmann im fiktiven Bewerberpool waren auch Serkan Sezer und Dennis Langer, beide ebenso gut qualifiziert wie Fatih und Tobias - und ebenso fiktiv. Das Ergebnis der Untersuchung: Selbst Stellenbewerber mit nahezu perfekten Referenzen werden in Deutschland bei der Jobsuche deutlich benachteiligt, wenn der Arbeitgeber türkische Herkunft vermutet.

Die Bewerber mit deutschen Namen erhielten bei gleicher Qualifikation insgesamt 14 Prozent mehr positive Antworten als die Bewerber mit türkischen Namen. In kleineren Unternehmen fiel die Ungleichbehandlung noch deutlicher aus. Dort hatten Tobias und Dennis um 24 Prozent bessere Chancen als Serkan und Fatih.

Die Studie belegt für Deutschland, was international schon vielfach belegt ist und was oft Bewerber mit ausländischen Namen auch aus leidvoller eigener Erfahrung schildern. Ähnliche Studien aus den USA, Schweden und Griechenland belegen ebenfalls eine Benachteiligung ethnischer Minderheiten - und oft fällt sie noch krasser aus, meist mit Diskriminierungs-Wahrscheinlichkeiten von bis zu 50 Prozent.

Die Werte, die Kaas und Manger ermittelt haben, sind im Vergleich moderat - was wohl an den exzellenten Voraussetzungen in den Bewerbungen lag. Die Konstanzer Forscher hatten den Kandidaten eine für Arbeitgeber wirklich ansprechende Biografie auf den Leib geschneidert. "Wir hatten mit noch mehr Diskriminierung gerechnet", sagte Studienautor Leo Kaas SPIEGEL ONLINE. Er vermutet, dass bei "mittelmäßigen Noten deutlich mehr diskriminiert wird". Dort kämen Vorurteile noch stärker zum Tragen. Außerdem seien bei den Testbewerbungen auch Zeugniskopien angehängt gewesen. Die Unterlagen bieten daher harte Belege für die Fähigkeiten der Bewerber, die Wichtigkeit der subjektiven Einschätzung durch das Merkmal Name nehme dadurch ab.

Empfehlungsschreiben wirken Wunder

Ein bemerkenswerter weiterer Befund der Studie: Um die Kriterien genauer abzuklopfen, legten die Forscher einigen Bewerbungen zwei Empfehlungsschreiben vorheriger Arbeitgeber bei. Die (ebenso fiktiven) Firmen urteilten positiv über Verhalten, Engagement, Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein des Kandidaten.

Und siehe da: Diese Zeugnisse wirkten Wunder, sie hoben die Diskriminierung praktisch auf. Die Ökonomen werten dieses Ergebnis als Beleg für "statistische Diskriminierung", die darauf beruhe, dass Personalmanager die Persönlichkeitseigenschaften von Bewerbern türkischer Herkunft schlechter einschätzen können. Anders formuliert: Die Vorurteile sind größer, die Erfahrungen kleiner - und je konkreter das Bild, das sich die Personaler machen können, desto geringer der reine Namens-Einfluss.

Keine signifikanten Unterschiede stellten die Forscher bei der Geschwindigkeit der Antwort fest: Eine erste positive Antwort auf die Bewerbung brauchte im Schnitt elf Arbeitstage, eine Absage dagegen rund 17 Werktage. Kleine Firmen reagierten im Schnitt zügiger als große.

Die stärkste Form der Diskriminierung, eine Zusage für einen Kandidaten bei gleichzeitig fehlender Antwort an einen anderen, kam auch vor: 28 Unternehmen gaben den Bewerbern mit deutschen Namen eine positive Rückmeldung, während sie dem vermeintlich türkischen Interessenten nicht einmal absagten. Es waren deutlich mehr als umgekehrt - nur 12 "türkische" Bewerber bekamen ein positives Feedback, während zugleich Kandidaten mit deutschem Namen ignoriert wurden.

"Teufelskreis der Diskriminierung"

Dass große insgesamt besser als kleine Unternehmen abschneiden, führen die Forscher auf stärker standardisierte Verfahren zurück, die weniger Raum für subjektive Einschätzungen lassen. Zudem seien mehr Personen an der Auswahl beteiligt und große Konzerne in Diskriminierungsfragen sensibler. Einen krassen Einzelfall berichtet Kaas von einer kleinen Firma: Sie sagte dem Bewerber mit dem türkischen Namen ab, mit der Begründung, die Stelle sei vergeben. "Am nächsten Tag erhielt der Student mit dem deutschen Namen eine Einladung zum Vorstellungsgespräch."

Die Konstanzer Forscher sehen einen "Teufelskreis der Diskriminierung": Erst wenn benachteiligte ethnische Gruppen die Chancen erhielten, sich auf dem Arbeitsmarkt zu beweisen, könnten sie die Vorurteile ausräumen. Notwendig sei bei den Arbeitgebern ein Umdenken, das sich durch Gesetze allein nicht erzwingen lasse, etwa durch das Antidiskriminierungsgesetz.

2009 hatte bereits das sozialwissenschaftliche Institut Futureorg in Krefeld vor einem "Brain Drain", vor einem Exodus der Mustermigranten gewarnt: In einer Studie zu den Einstellungen deutschtürkischer Akademiker und Studenten kam es zu dem Ergebnis, dass fast 40 Prozent von ihnen planen, in das Land ihrer Eltern auszuwandern - obwohl viele die Türkei gar nicht richtig kennen und dort zwischen den Kulturen stehen. Oft sind es gerade hochqualifizierte Deutschtürken, die Abschied von Almanya nehmen. Denn in Deutschland sehen sie sich missachtet, anderswo werden sie umworben.


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